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Finden und fördern
Foto: Volker Beushausen

Finden und fördern

Lesedauer: ca. 2 Min. | Text: Sabine Raupach-Strohmann

6,2 Mio. Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Viele verstecken ihre Schwäche im Alltag geschickt. Sie in unserer Stadt aufzuspüren und zu fördern, hat sich der neue VHS-Leiter Dr. Chokri Guellali zur Aufgabe gemacht, wie er im Interview verrät.

Dr. Guellali, welche Rolle kann und soll die VHS für Castrop-Rauxel unter Ihrer Leitung spielen?

Die Bevölkerung wird weniger, dafür aber bunter und älter. Der gesetzliche Auftrag der VHS ist es, die Grundversorgung aller Menschen mit Bildung zu sichern. Deshalb muss die VHS Castrop-Rauxel für alle offen sein, die Teilhabe aller Menschen ermöglichen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.

Dabei möchten Sie vor allem auch die Analphabeten in den Blick nehmen, die von Bildung abgehängt sind. Was kann man dagegen tun?

Seit 2016 wollen Bund, Länder und Partner mit der AlphaDekade bis 2026 die Lese- und Schreibfähigkeiten Erwachsener in Deutschland deutlich verbessern. Es gibt schon sehr viele Programme und Projekte, mit denen ich auch in Berlin schon gearbeitet habe. Die erste und schwierigste Aufgabe ist es, diese Menschen, die keine Zeitung oder Infoblätter lesen können, zu erreichen. Im Alltag vertuschen diese "funktionalen" Analphabeten ihre Lese- und Schreibschwäche aus Scham. Eine Frau, die nicht schreiben konnte, schob das auf ihre kranken Hände.

Wie wollen Sie die Menschen erreichen?

Als erstes müssen wir ein Netzwerk aufbauen, Kontakte knüpfen zu Vereinen, Jobcenter, Unternehmen. Wir dürfen nicht darauf warten, dass die Menschen zu uns kommen. Wir müssen zu ihnen gehen, dorthin, wo sie leben, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen. Nach einer Studie sind 62 Prozent der Menschen, die Mühe haben, einen längeren zusammenhängenden Text zu verstehen, erwerbstätig, überwiegend Männer und deutsche Muttersprachler.

Wie müssen die Angebote für diese Zielgruppe aussehen?

Wenn wir unsere Zielgruppe mithilfe von Projekten erreicht haben, können wir Kurse im offenen Programm anbieten – vielleicht an außergewöhnlichen Orten und direkt bei den Menschen. Die Lerninhalte müssen alltags- und praxisbezogen gestaltet sein – Arbeits- und Lebenswelt, Finanzen, Freizeit, Beziehungen, Gesundheit. Darunter sind wichtige Themen, von denen sie bislang teilweise ausgeschlossen sind. Nur wer Lesen, Schreiben, Rechnen beherrscht, kann ein selbstbestimmtes Leben führen und an der Gesellschaft teilhaben.

Wie können Sie diese Zielgruppe motivieren?

Es ist ein schwieriges Terrain. Der Erfolg ist nicht sicher. Aber man muss versuchen, auf allen Wegen die Betroffenen zu erreichen und zu ermutigen. In Berlin waren wir mit "Lerner-Experten" erfolgreich: Sie haben in Videobotschaften Werbung für Projekte und Kurse gemacht. Es wäre schön, wenn wir das hier in Castrop-Rauxel auch erreichen.

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