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Nachhilfe auf Augenhöhe
Foto: Volker Beushausen

Nachhilfe auf Augenhöhe

Lesedauer: ca. 2 Min. | Text: Fotini Kouneli

Der Zugang zu Bildungsangeboten ist oft unfair verteilt. Seit 20 Jahren unterstützt das Chancenwerk mit Sitz in Castrop-Rauxel Kinder und Jugendliche, die sonst durchs Raster des Bildungssystems fallen.

Schülerin Alissar Alahmad und Student Hasan Kaya sitzen gemeinsam am Tisch der „Chancenschule“ in Castrop-Rauxel, Bücher und Notizblöcke vor sich ausgebreitet. Ab und an stellt Alahmad Fragen, lauscht den Erklärungen des Studenten und arbeitet dann konzentriert weiter. Noch vor kurzem hätte die Schülerin nicht geglaubt, dass sie jemals so entspannt mit ihrem Schulstoff umgehen könnte: „Als ich vor einigen Jahren nach Deutschland kam, hatte ich Schwierigkeiten damit, mich an die Umstellung zu gewöhnen und konnte im Unterricht nicht immer mithalten“, erinnert sie sich zurück.

2017 flüchtete die Schülerin mit ihrer Familie aus Deutschland, musste neben dem neuen Schulsystem auch eine neue Sprache lernen. Im Unterricht traf sie bei mehrmaligen Nachfragen oft auf Unverständnis und Ungeduld bei den überlasteten Lehrpersonen. Durch eine Freundin fand sie dann zum Chancenwerk. „Ich habe dort in kurzer Zeit Schulstoff verstanden, mit dem ich zuvor wochenlang Probleme hatte“, erinnert sich Alahmad. Nach nur zwei Probestunden merkte sie eine Verbesserung, die guten Noten folgten.

90 Schulen in 42 Städten

In der „Chancenschule“ des Chancenwerk e. V. erhalten Schülerinnen und Schüler wie Alahmad einzeln oder in Kleingruppen Nachhilfe bei engagierten Studierenden wie Kaya. Neben dem Angebot in Castrop-Rauxel kooperiert der Verein mittlerweile mit 90 Schulen in ganz Deutschland. „Uns geht es nicht nur um eine schlichte Hausaufgabenbetreuung, sondern um die ganzheitliche Entwicklung von Grundkompetenzen“, erklärt der operative Leiter Enes Vural.

Seit Gründung im Jahr 2004 verfolgt der Chancenwerk e. V. das Ziel, gesellschaftlicher Ungleichheit im Bildungsbereich entgegenzuwirken. „Die Herausforderungen im Bildungssystem sind vielfältig“, betont Vural. Neben einem Mangel an pädagogischen Fachkräften und der Heterogenität in den Klassen entstehen auch durch Migration neue Anforderungen an Schulen, die der Unterricht oft nicht bewältigen kann. Deswegen sei individuelle Förderung so wichtig.

In den kleinen Lerngruppen ist solch eine persönliche Lernförderung möglich. Student Kaya kann dies bezeugen. Seit knapp vier Jahren ist der gebürtige Waltroper als Lehrkraft bei Chancenwerk tätig. Der angehende Lehrer hat in dieser Zeit viel Praxiserfahrung sammeln dürfen, die ihm im sehr theorielastigen Lehramtsstudium oft gefehlt hat. „Die Kommunikation mit den Jugendlichen lernt man im Studium nicht, das muss man sich bewusst aneignen“, erläutert er die Beweggründe für sein Engagement.

Es braucht Vertrauen und Geduld

Durch die Arbeit habe er gelernt, dass es keine einfachen Schablonen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gibt. Bald geht es für den Studenten, der in Bochum Sozialwissenschaft und Germanistik studiert, ins Referendariat. „Durch meine Tätigkeit kann ich einen Baukasten an Fähigkeiten mitnehmen“, so Kaya. Besonders wichtig sei für ihn der Aufbau von Vertrauensverhältnissen, da viele Schülerinnen und Schüler sich oft nicht trauen, mehrmals nachzufragen.

Früher war das bei Alahmad genauso, doch mittlerweile hat sie dank der Unterstützung von Chancenwerk gelernt, ihre Unsicherheit zu überwinden. „Die Studierenden sind geduldig und bereit, komplexe Dinge auch mehrmals ausführlich zu erklären“, sagt die 17-Jährige strahlend. Für Alahmad ist klar, dass sie auch weiterhin die Angebote von Chancenwerk nutzen wird: „Nach dem Abschluss plane ich, mein Abitur zu machen, wozu mich auch die Förderung hier vor Ort ermutigt hat.“

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